Verlorene Engel: Kriminalroman

Buchseite und Rezensionen zu 'Verlorene Engel: Kriminalroman ' von Frank Goldammer
4.75
4.8 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Verlorene Engel: Kriminalroman "

An dunklen Herbstabenden 1956 werden in Dresden wiederholt Frauen brutal vergewaltigt. Als auch noch eine tote Frau an der Elbe gefunden wird, werden in der verunsicherten Bevölkerung die Rufe nach Selbstjustiz laut. Kommissar Max Heller und sein Team ermitteln unter Hochdruck. Mithilfe eines weiblichen Lockvogels gelingt es ihnen, einen Verdächtigen festzunehmen. Der von Narben entstellte Mann gesteht zwar die Vergewaltigungen, leugnet aber den Mord. Sind vielleicht doch die von allen gefürchteten, desertierten russischen Soldaten die Täter? Die Lage eskaliert, als Hellers Familie in den Fall hineingezogen wird.

Format:Broschiert
Seiten:400
Verlag:
EAN:9783423262835

Rezensionen zu "Verlorene Engel: Kriminalroman "

  1. Wen das nächtliche Dresden für Frauen zur Gefahr wird

    "Vergewaltigung ist eines der schrecklichsten Verbrechen der Welt. Und es passiert alle paar Minuten." (Kurt Cobain)
    Eine Serie von Vergewaltigungen erschüttert 1956 die Stadt Dresden. Max Heller und sein Team kommen dem Täter nicht auf die Schliche, vor allem weil er immer an anderen Stellen in der Stadt seine Opfer findet. Ist es Zufall oder beobachtet der Täter seine Opfer zuvor? Außerdem werden zwei russischen Soldaten vermisste nach ihrer Flucht. Ob sie was mit den Vergewaltigungen zu tun haben? Die Bevölkerung ist zusehends beunruhigt, besonders als man eine tote Frau in der Elbe findet. Als letzter Ausweg wollen sie mit einer Freiwilligen dem Täter eine Falle stellen, auch wenn Max weniger begeistert ist. Doch der Plan geht auf und sie fassen einen entstellten Verdächtigen, der jedoch den Mord nicht zugibt. Max größte Sorgen sind, als Anni nach einem Streit verschwindet. Ist sie einfach nur abgehauen oder gar in der Gewalt des Täters?

    Meine Meinung:
    In dem vorletzten Band dieser Reihe spürt ich zusehends die Veränderung von Staat und Menschen in der DDR. Immer mehr Bürger flüchten aus der DDR in den Westen, um dort ein besseres Leben zu finden. Max und Karin dagegen haben ihre Fluchtpläne wegen Erika und ihrem Enkelkind Sylvia aufgegeben. Doch die Beziehung zu Sohn Klaus ist weiter angespannt. Zwar ist Max nach einer Operation am Fuß endlich schmerzfrei, jedoch spürt man hier, dass er inzwischen im gesetzten Alter und kurz vor der Pension ist. Doch nach wie vor opfert sich Max ganz für seinen Beruf als Ermittler auf. Nächtliche Observationen stecken er und Kollege Oldenbusch zwar nicht mehr so einfach weg wie früher. Allerdings ist es gerade jetzt umso wichtiger, da ein Verbrecher in der Nacht Frauen auflauert und sie vergewaltigt. Die Suche nach zwei russischen Soldaten gestaltet sich ebenfalls als schwierig. Als ob das nicht reicht, kommen noch die Sorgen und Probleme mit der 13-jährigen Pflegetochter Anni dazu. Wieder einmal lässt Frank Goldammer den Leser sehr lebendig am Alltag und den Sorgen im DDR-Staat teilhaben. Ob es das Abhören von Bürgern ist, die Maßregelung von Vorgesetzten und Parteigenossen des MfS. Zwar hat der parteilose Max bisher durch Klaus und Niesbach immer noch etwas Rückendeckung erhalten, doch die bröckelt zusehends. Niesbach ist inzwischen pensioniert und Klaus bekommt immer mehr Druck von oben. Natürlich sind dabei die Westpakete von Erwin der Partei ebenfalls ein Dorn im Auge. Ob ihre damalige Entscheidung wirklich eine gute Wahl war? Vor allem Karin kommt immer mehr ins Grübeln. Dass einfache russische Soldaten aus der Armee türmen, weil sie hungern oder einfach nur noch nach Hause möchten, kann ich gut nachvollziehen. Kein Wunder, wenn der Staat seine eigenen Leute so schlecht behandelt. Umso tragischer, wen diesen jungen Männern die Todesstrafe droht. Mich hat dieser Krimi wieder sehr gut unterhalten und total überzeugt. Nicht nur, weil es um Vergewaltigung, Deserteure und Politik geht, sondern auch um die vielen kleinen Probleme rund um die Familie Heller. Etwas gewundert hat mich, dass man in der DDR zwar prinzipiell Frauenarbeit begrüßt, jedoch bei der Polizei und Kripo damit sehr zaghaft ist. Schade, dass diese Reihe mit demnächst zu Ende geht. Von mir gibt es erneut eine Leseempfehlung und 5 von 5 Sterne.

  1. 4
    24. Mai 2021 

    Lockvogel

    1956 in Dresden: Max Heller weigert sich immer noch in die SED einzutreten. Sein Chef kündigt an, dass er in Ruhestand gehen wird und Heller für seine Nachfolge in Betracht kommt. Doch bevor das entschieden wird, muss Max Heller verschiedene Fälle aufklären, in denen Frauen bedroht und vergewaltigt wurden. Als eine junge Frau tot aufgefunden wird, drängt die Öffentlichkeit immer stärker, dass jede weitere Tat verhindert werden muss. Heller und sein TEam setzen sich selbst unter Druck. Jeder weitere Übergriff auf eine Frau muss dringend verhindert werden. Wenigstens seine Frau Karin ist Heller eine Stütze, doch mit ihrer Ziehtochter Anni gibt es in letzter Zeit Probleme.

    In seinem sechsten Fall hat es Max Heller nicht so leicht. In seiner Position fühlt er sich von den Vorgesetzten bedrängt. Er soll als Vorbild fungieren, wo er doch immer der unangepasste Außenseiter war, der trotzdem seinen Platz hatte, weil er eben ein herausragender Ermittler ist. Da der aktuelle Fall für alle Frauen nur sehr beängstigend genannt werden kann, versucht Heller alles, um den Täter möglichst schnell zu finden, damit die Frauen in Dresden wieder unbesorgt auf die Straße gehen können. Als letzte Möglichkeit denken Heller und seine Kollegen an den Einsatz eines Lockvogels.

    Vor dem Hintergrund des Aufstands in Ungarn, durch den klar wird, dass die Sowjetunion nicht gewillt ist, einen ihrer Bruderstaaten aus dem Bund zu entlassen, sucht Max Heller fieberhaft nach einem Vergewaltiger mehrerer Frauen. Dabei hat Heller nur am Rande mit der Politik zu tun. Dennoch gestaltet sich die Ermittlung ausgesprochen fesselnd, gerade in dem Spannungsfeld zwischen Familie und Beruf. Man kann die Zerrissenheit Hellers gut nachempfinden und man bekommt einen authentischen Eindruck von der Entwicklung der noch jungen DDR. Ein packender Fall, in dem auch Max Heller mal falsch liegt. In diesem Fall ändert sich einiges, aber an der Leseempfehlung für die Max Heller Reihe ändert sich nichts.

  1. Ausgezeichneter historischer Kriminalroman

    „Verlorene Engel“ spielt 1956 und ist der neueste Band der Dresdner Nachkriegskrimis.

    Max Heller ist inzwischen eine feste Größe der Kriminalpolizei der DDR. Nachdem seine alte Beinverletzung endlich erneut operiert und gerichtet wurde, kann er schmerzfrei gehen. Auch privat scheint es zum Besten zu stehen. Zwar hat letztendlich die Flucht in den Westen zu seinem Sohn nicht geklappt, aber er hat sich mit dem System arrangiert. Auch wenn er weiß, dass inzwischen das Ministerium für Staatssicherheit wie ein Krake alle Bereiche des Lebens in diesem Staat durchdringt.

    Eine Serie von Vergewaltigungen macht der Polizei zu schaffen. Zumal jetzt zum ersten Mal auch eine Frau den Angriff nicht überlebte. Sexualverbrechen sind ein Tabu-Thema. Es darf nicht sein, was dem Bild des „neuen“ Menschen widerspricht. Die Opfer sind völlig unterschiedlich, aber der Dresdner Mob hat natürlich sofort Schuldige ausgemacht. Außenseiter werden auch in diesem Staat gnadenlos ausgegrenzt und verdächtigt.

    Da auch zwei russische Soldaten abgängig sind, mischt der Große Bruder mit. Alexej Saizev und Heller kennen sich seit dem Krieg und haben eine fragile Beziehung aufgebaut.

    Bei den Dresden Krimis von Frank Goldammer schätze ich den zeitgeschichtlichen Hintergrund ganz besonders, er ist mir fast wichtiger als der Spannungsaufbau. Sein Plot nimmt – wie immer – ein gesellschaftlich relevantes Thema auf. Vergewaltigungen, wie überhaupt Sexualdelikte wurde gern totgeschwiegen, denn das passte überhaupt nicht in das Bild, das die DDR darstellen sollte. Umso größer ist der Druck, der auf Heller lastet.

    Wenn ich Frank Goldammer lese, sehe ich Dresden immer wie in einem S/W Film vor mir. Die Atmosphäre der Stadt, das Zeitbild fängt der Autor sehr lebendig ein. Ich meine fast, die Gerüche und Geräusche wahrzunehmen.

    Ausgezeichnet sind seine Charaktere dargestellt. Die Figuren sind vielschichtig gezeichnet, sind wirken real und haben wie alle Menschen ihre Stärken und Schwächen. Das macht sie auch so besonders. Sie passen einfach in die Zeit und in das Milieu. Hier möchte ich eine Figur besonders hervorheben: das junge Fräulein Schöneich, die Schreibkraft, die sich unbedingt als Polizistin bewerben möchte und sich deshalb als Lockvogel zur Verfügung stellt.

    Für mich ist der Krimi wieder ein sehr spannendes Stück Zeitgeschichte.

  1. Drei Jahre sind seit dem

    Drei Jahre sind seit dem letzten Fall Max Hellers vergangen. Im Herbst 1956 erschüttert eine Serie von Vergewaltigungen die nach wie vor unter den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs leidende Stadt Dresden. Hellers Mordkommission wird zur Unterstützung der nächtlichen Überwachungen hinzugezogen, doch der Fund einer Frauenleicheiche legt nahe, dass der Täter eine Grenze überschritten hat, weshalb nun der Fall in die Verantwortung Hellers übergeht. Doch Ansatzpunkte für die Ermittlungsarbeit gibt es wenige, zumal die traumatisierten Vergewaltigungsopfer nur wenige konkrete Angaben machen können oder gar schweigen. So entsteht die Idee, einen Lockvogel einzusetzen, der sich Heller zunächst entgegenstellt, der er sich letztendlich aber nicht entziehen kann, um einen Durchbruch zu erzielen. Tatsächlich werden mehrere Verdächtige ermittelt, doch keiner davon gesteht oder kann mittels einer lückenlosen Beweiskette überführt werden. Es dauert und bedarf noch einiger dramatischer Entwicklungen, bis es der Dresdener Mordkommission gelingt, die diversen Knoten zu entwirren und dabei einige tragische Verflechtungen aus der Zeit des Weltkriegs aufzudecken.

    Kompliziert wird die Ermittlungsarbeit für Heller dadurch, dass seine Ziehtochter Anna sich zunehmend merkwürdig verhält und sogar kurzeitig verschwindet, weil sie die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren hat und nun nach ihren Wurzeln sucht.

    Auch in seinem mittlerweile sechtsen Max Heller Roman vermag der Autor Frank Goldammer mit einer Mischung aus Spannung und Darstellung der Nachkriegsgeschichte zu überzeugen. Leicht getrübt wird der Lesegenuss durch zwei Sprachschnitzer der Marke "Soweit Heller wusste, war der Russe inzwischen verheiratet und ein Kind" (S.41), wbei das hatte fehlen dürfte und "Dann drückte er die zerwühlte Decke Decke beiseite, auf der Frau Wuttke lag, um ihre Armen zu sehen" (S.307). Warum fällt so etwas dem Lektorat des dtv-Verlags (schließlich ja kein Wald-und Wiesen-Kleinverlag) nicht auf?

    Und noch ein Wermutstropfen: Zufällig sah ich die Vorankündigung des nächsten Hellerromans "Feind des Volkes" für den September 2021, der den ernüchternden Untertitel "Max Hellers letzter Fall" trägt. Schade, wenn damit die Reihe zu Ende ginge.